VOLK VON THEBEN
Wer sich eine Blöße gibt, kommt darüber
vielleicht nicht hinweg. Besser ist dran,
wer sich bedeckt hält. Das Vergangene
holt ihn nicht ein. Alles was kommt,
kommt gerade recht. Oder es kommt,
wie es kommt. Gerade so und nicht anders. Das spricht
für den Bedeckten.
Nach der Schuld ist
vor der Schuld, also immer. Wo die Trennlinie verläuft,
verläuft sich die Schuld, soll heißen,
sie geht in die Breite. Wer immer
sich daran versucht, der verhebt sich. Aber er nimmt
den anderen mit. Gnadenlos und, wer weiß,
ohne Gefühl ist der Krieg der Gewissen.
Wer den anderen markiert, ist im Vorteil.
Er hat einen Vorsprung, den muss er wahren.
LAIOS
Wer eine Beziehung eingeht,
muss wissen, wie er herauskommt.
Ein Kind zeugen
ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit,
es austragen
eine Idiotie.
Was heraus kommt, zeugt
gegen beide: ein Schwachkopf
auf wackligen Füßen, ein Balg
der Gesellschaft, die es gebar.
VOLK VON THEBEN
Das ist Selbsttäuschung pur: wer glaubt,
dass er gefragt wurde, ohne gefragt zu sein,
ein Kind zu zeugen, ohne gemeint zu sein,
eine Verantwortung zu übernehmen für etwas,
das es nicht gibt. Was es gibt, das
erfährt der Getäuschte nie: es hat ihn erschlagen
bei seiner Geburt. Eines Tages
zieht er davon, ein Opfer der Fliegen.
Was ihn stößt, stößt
ihn vorwärts. Wer auf ein Wort wartet,
verfällt dem Schweigen
oder sie binden ihn
auf eine Sackkarre.
TEIRESIAS · PASSANT
Diese Frau ist eine Düne vielleicht
oder ein Heuschreckenschwarm
oder ein langsam greifender Wandel,
der nichts auslässt. Von einer Mutter geboren,
die man verjagt hat, wurde sie Jägerin. Das Haus,
das sie nie gesehen hat, wurde ihr Schicksal. Das Land,
das sie nie gesehen hat, hat sie verschluckt.
Wo immer sie steht, sie steht innen:
in der Mitte ihres Besitzes. Jeder Blick,
der ihr gilt, ist ein Blick zuviel: eine Blöße. Darum zahlt,
wer sieht, mit dem Auge, in rollender Münze.
So einer greift nach der Schwester vielleicht oder der Mutter
oder dem Wesen, das ihn versteht oder braucht oder
etwas anderem, dem die Benennung fehlt,
weil die Sprache wegkippt oder das Denken.
VOLK VON THEBEN
Eine neue Potenz
kennt nur einen Befehl: Wachstum.
Wer auf den Markt drängt, der
schlägt den Rivalen, bevor er
sein Schicksal teilt. Das ist ganz normal.
Wer viel verlor, der
verstummt, aber er gibt
den Befehl weiter. Es ist sinnlos,
nach einem menschlichen Sinn zu suchen,
wenn ein Blick aufs Konto genügt. Dort steht er,
der menschliche Sinn.
IOKASTE
Es ist besser zu schlagen als geschlagen zu werden.
Es ist besser zu kassieren als kassiert zu werden.
Es ist besser zu verabschieden als verabschiedet zu werden.
Es ist besser zu tun als zu reden.
Es ist besser zu wissen statt zu verstehen.
Es ist besser, sich in Erinnerung zu bringen, statt Erinnerung zu sein.
Es ist besser, die Dinge zu stellen.
Es ist besser, den Mantel verkehrt herum zu tragen.
Es ist besser, sein Bild zu löschen, bevor es auffällt.
Es ist besser, verkannt zu werden statt entdeckt.
Es ist besser, vergessen zu werden statt erkannt.
Es ist besser, Iokaste zu sein, als die Glücksfee.
AMME
Wenn ich Buchstaben besäße,
die auf Stelzen liefen,
ich ließe sie arbeiten:
Eine Art Echo,
eine Stimme, die eine andere äfft, die eine andere ruft,
so etwa muss man sich vorstellen,
was unvorstellbar ist.
Was bitte ist unvorstellbar?
Das Unvorstellbare, was sonst.