PARAPHYLETOI
Dieses Übel
ist oft beschrieben worden:
der Hass von Müttern auf ihre Kinder.
Lange hielt man es nur
für eine Frage der Reife,
auch das Talent oder der allzu üppig gestreute
Samen bärtiger oder glattrasierter
Männer wiesen den Weg in in den Zwiespalt.
Das ist Schnee von gestern.
IOKASTE
In mir war kein Hass. Ich habe dieses Kind
gewollt und bekommen, so wie ich immer
bekam, was ich wollte. Nur zwischen Wollen und Haben
geschah etwas, was ich nicht wollte. Anders wäre es wohl
zu einfach gewesen.
PARAPHYLETOI
Du wirst es uns sagen.
IOKASTE
Vielleicht. Warum sollte ich? Wenn es ein Geheimnis ist,
dann sollte ich es zurückhalten. Wenn es keines ist,
wisst ihr es doch längst und ich sollte schweigen.
Einen Tipp kann ich euch geben: es ging nicht ums Kind.
Es ging auch nicht um den Mann oder um die Auswahl,
die sich auftat. Um all diese Dinge ging es nicht.
Ich musste mir über etwas klar werden.
Das war schmerzhaft, aber es war
unvermeidbar.
PARAPHYLETOI
Damit hast du zwar nichts gesagt, aber dafür
sehen wir klarer. Auch du hast gespielt. Das Kind
war der Spielball. Du warfst ihn hoch,
um zu sehen, wer ihn auffing.
Das wäre fast schief gegangen. Noch heute zeigt
das Kind von damals Blessuren,
die sich keiner erklären kann.
Er selbst am wenigsten.
IOKASTE · PARAPHYLETOI
Wenn es ein Spiel war,
dann nicht für mich.
Mir war es ernst.
Was sonst?
So ein Spiel
beginnt keiner
aus Spaß.
Dieses Wort
hasse ich.
Es ist eine Art Schicksal.
Du hast dich nicht davon freimachen können.
Warum sollte ich? Ich hatte ein Recht darauf
wie jede andere.
Warum der Hass?
Wenn ich Spaß hatte,
schoben sich die Bulldozer näher.
Ich sah, ohne hinzusehen,
wie sie langsam das Haus umzingelten,
das meines war,
das ich bewohnte.
Was geschah danach?
Das ist Schnee von gestern.
PARAPHYLETOI · TEIRESIAS
Hast du versagt?
Aber sicher. Wie jeder.
So flapsig?
Das ist nicht flapsig. Ich sage das
mit großem Ernst. Man hat uns eine Form hingeschoben
und wir haben sie gefüllt. Diese Form war leer
und wir haben sie gefüllt. Dass sie nicht passte,
merkten wir später. Manche merkten es nie.
Man?
Vielleicht tat es die Zeit. So etwas soll vorkommen.
Jedenfalls reden viele davon, als sei die Zeit selbst
über die Ufer getreten und habe fortgeschwemmt,
was nicht an der Zeit war. Für mich
gibt das ein schiefes Bild. Denn gerade was an der Zeit war,
hätte in ihrer Reichweite liegen müssen.
Demnach hätten wir versäumt, was an der Zeit war.
Damit kann ich nichts anfangen.
Womit dann?
PARAPHYLETOI
Etwas, das an der Zeit ist, lädt ein
zum Sturz aus der Zeit. Das ist ganz normal. Es ist nur,
wann immer es stattfand, wie nie gewesen.
Was sich entzieht, hat Gründe womöglich,
aber es braucht sie nicht.
Es braucht sie auf, aber es braucht sie nicht.
Dass eintritt, was niemand gewollt hat,
überrascht nicht sehr. Dieser Gedanke,
beherrscht die Bühne, seit es sie gibt. Diese da
kannten die Bühne nicht, die sie betraten.
Das Stück, ungeschrieben,
sollte entstehen, während sie spielten.
Viele sprechen davon
noch heute, als sei es
ihr gelungenster Einfall.
VOLK VON THEBEN
Dass eine Iokaste
sich holt, was ihr zusteht,
bedarf keiner Zeit.
Eine wie sie
lebt die ihre, gleichgültig, wie
die Uhren ticken. Vielleicht ist sie ein Unglück
für sich und andere. Manchmal ist sie geneigt,
es so zu sehen. Dann wieder schüttelt sie sich
wie eine Katze. Was sie haben will,
ist nichts Besonderes. Sie selbst
ist nichts Besonderes. Das weiß sie und das
macht sie gefährlich. Auch das weiß sie: holen wird sie sich,
was ihr zusteht. Darin besteht ihr Geheimnis.
Worin denn sonst? Was ihr zusteht, das
weiß keiner, auch sie nicht. Ist die Zeit da,
geht sie auch wieder, dazwischen passiert,
was niemals passieren durfte und sie
duftet wieder, ein Hauptspaß für jeden,
der Düfte mag.
ÖDIPP
Wann immer ich dieses Haus verlasse,
begegne ich Frauen, die Hunde ausführen.
Es sind hunderte, vielleicht tausende,
die meinen Weg kreuzen. Sie sprechen zu ihren Kötern,
wie eine Mutter mit ihren Kindern spricht.
So sprach meine nie. Doch wenn ich darüber nachdenke,
bin ich mir dessen nicht sicher. Vielleicht sprechen sie
mit ihren Kindern wie mit Liebhabern, in denen kleine
Hunde stecken, damit ihre Hunde
nichts davon merken. Diese Hunde, ich merke es,
sind kleine Menschen, zu klein für Erwachsene und
zu groß, um gehätschelt zu werden, als seien es Kinder. Sie sind
etwas dazwischen. Wichtig scheint mir jetzt, wo ich darüber
nachdenke, dass diese Frauen mir nicht den Eindruck vermitteln,
als vermissten sie etwas. Ich finde sie
gelöst. Das Spiel mit den Hunden
befriedigt sie tief. Auch glaube ich nicht, dass sie spielen.
IOKASTE
Irgendwann bist du auf dich zurückgeworfen
und weißt, was du tust. Irgendwann ist nicht Gestern,
nicht Morgen, nicht Irgendwann, sondern Heute.
Irgendwann begreifst du, dass es kein Irgendwann gibt.
Das ist nicht die Stunde der Wahrheit,
aber etwas gleich daneben.
Es ist auch keine Stunde, nicht deine, nicht irgendeine.
Es ist, dass es geht, wie es geht.
Die Menschen berühren dich anders
und nicht zu sehr. Jeder Mann vertritt jeden und jedem
streifst du das Halsband um, wenn er eintritt. Seltsamerweise
behalten sie es, wenn sie sich aus dem Staub machen.
Nicht dass es mich wundert. Auch diesen Reflex
habe ich abgelegt. Ich brauche ihn nicht: wer will, greife zu.
LAIOS
Die Substanz der Freiheit,
eingesperrt in den Körper eines Hundes:
ich verstehe diesen Ödipp, der sieht, ohne zu sehen,
als gäbe er den, der ich war und vielleicht bin, noch einmal,
aber abwesend, wie eine Rolle, die ihm nichts sagt.
Dass ich ihm nichts sage, kann ich verstehen,
auch wenn es mich kränkt. Dass es mich kränkt, wundert mich
mehr als genug. Aber die eigene Rolle
so zu verfehlen, indem man sie spielt,
als gäbe es nichts zu spielen,
bringt mich auf. Ich hätte ihn umbringen sollen und sehe,
es ist mir gelungen. Von mir
soll keine Spur hinausführen in eine andere Zukunft.
Dazu liebe ich meine zu sehr, als dass ich noch abgeben lernte,
jetzt, wo sie geht. Wo Ich geht, soll Es werden. Nicht mehr.