ÖDIPP · TEIRESIAS
Nichts hast du begriffen und nichts
bringt dich weiter. Stirb hier.
Das ist das Bett, dass du dir
bereitet hast, und das
wollte ich dir sagen.
Ich verstehe dich gut, denn
ich verstehe dich nicht.
In diesem Punkt
bin ich dein Vater wie du der meine.
Vielleicht bist du mein Vater
oder ein anderer, vielleicht
der, der mich erzog, oder
der, den ich erschlug. Das ist
im Grunde egal, jedenfalls sagt es wenig.
TEIRESIAS · ÖDIPP
Gern hätte ich eine Tochter gehabt.
Es schien mir nicht fair, geprügelt zu werden,
wo ich schon Prügel empfing.
Ein Sohn, dachte ich, ist eine zu harte Sache.
Darin habe ich mich getäuscht.
Ich habe dich beobachtet.
So wie du will ich nicht sein.
Bin ich eines anderen Sohn,
bist auch du ein anderer.
Nicht ich. Auch ich habe Gefühle.
PARAPHYLETOI
Nicht die Schwärze, nein,
das Ungekonnte schlägt
dir ein Schnippchen und
schleppt seine Beute ins Abseits.
Dort ruht sie. Kein Albtraum
kann sie erwecken. Was immer sie anfängt,
ist nicht getan oder es schlägt
gegen sie aus. Kein erworbenes Können
kann sie erlösen. Das gilt nicht für jeden.
Wer nach vorn stürmt, hat vielleicht
ein loses Maul oder eine lose Hand
oder er kann einfach schweigen
dort, wo du reden musst.
Wie immer du es stellst, er ist dein Antipode.
Das Dürftige selbst, es reißt ihn heraus
aus der Masse der Ungeübten.
Wohin? Das bleibt
dir zum Bedenken:
Bedenke es gut!
IOKASTE · ÖDIPP
Ich bin deine Mutter. Du kannst
gehen, wohin du willst.
Ich lebe mit dir. Du kannst über mich verfügen.
Aber sage mir nicht, ob ich gehen
oder bleiben soll. Darüber befindest nicht du.
Ich verstehe, was du meinst. Aber verstehe auch mich.
Ich will nicht, dass es heißt, ich könnte nicht loslassen.
Ich will nicht, dass es heißt, ich hindere dich, zu leben.
Ich will nicht, dass du denkst, ich nehme dir die Luft zum Atmen.
ÖDIPP · IOKASTE
Ich weiß, was du denkst, aber das lass
meine Sorge sein. Du hast damit nichts zu tun.
Das ist eine Sache zwischen mir und mir.
Dass du es so sehen kannst,
das beruhigt mich. Manchmal verliere ich mich
zwischen den Zeiten, wie man so sagt.
Dann sehe ich in dir einen, der du nicht bist.
Das kam früh und ich dachte schon, es hätte sich gelegt.
Ich habe mir schon gedacht,
dass du so denkst. Aber das hier
ist meine Entscheidung, und wenn ich
morgen nicht mehr zum Frühstück erscheine,
dann weißt du, was passiert ist.
Aber sei beruhigt: Das wird nicht kommen. Wenn
es kommt, dann
sind wir beide nicht mehr dieselben
und ein Paar, das wir nicht kennen,
benützt dieselben Wörter für Zwecke,
die uns nichts angehen.
PARAPHYLETOI
Was dich ergreift, ist vielleicht
der Ruf eines Vogels. Schon ihn benennen
fällt schwer, denn dazu
braucht es etwas, das kaum
zu vermitteln ist, ein Gehör
aus Wörtern. Dein Gehör
zeigt dir den Vogel. Das ist
lieb, aber es reicht nicht aus.
Schwer zu sagen wofür: das Negative,
das nicht ausbleibt, bekommt das Sagen.
Es stimmt, wenn du sagst, dass du kämpfst.
Dieser Kampf geht um nichts, er bringt dich nicht weiter.
Und weiter willst du, nicht wahr? Nur Geduld.
Das Förderband steht nicht still, das dich fortschafft.
Wo du beharren willst, wächst die Ungeduld.
Wo du fortwillst, gerade da
wächst das Beharren.
TEIRESIAS
Nichts habe ich ihr zu sagen und nichts
kann sie mir sagen, was nicht im voraus
kassiert wäre durch das, was sie tut.
Wie wenn einer das Sprechen
langsam verlernt, weil ihm der Sinn der Sprache
abhanden kommt, so kommt es mir vor. Ein Leben verrinnt,
weil die, die es gab, für sich beansprucht,
zurücknimmt in ihr Leben. Den Mann lehnt sie ab
und verbraucht das Kind. Das ist die Sache und kein Gerede
kann ungeschehen machen, was hier geschieht.
Das Kind ist kein Kind mehr, es biegt sich hinein
in die ältere Existenz. Kein eigenes Leben haben ist bitter.
Keines zu haben und sich
dafür zu preisen, dass man es gut hat:
Was ist das?
IOKASTE
Er kann gehen, ja, er kann gehen.
Wenn er nicht geht, so ist das seine Entscheidung.
Ich bin glücklich, wenn er nicht geht, das ist wahr.
Aber ich könnte auch anders leben. Ich könnte mir gut
vorstellen, dass das hier vorbei ist
und ein anderes Leben beginnt.
Immer beginnt ein anderes Leben, wenn einer geht.
Dieser hier kam, weil er mich brauchte.
Ich weiß das. Es war nicht nötig, dass er es sagte.
Das Zurückkommen ist eine Kraft,
die dich überwältigt.
Vielleicht hat es ihn geschwächt. Dafür kreist
meine Kraft jetzt in ihm: ist das wenig?
PARAPHYLETOI
Diese beiden sehen vielleicht nur sich.
Das mag sein. Aber so, wie sie sich sehen,
sehen sie etwas, das mehr ist. Sie wissen,
dass es sie zerstört. Gerne
würde jeder zur Seite treten
und durchlassen, was über sie hinweggeht.
So einfach liegen die Dinge nicht.