TEIRESIAS
Diesen jungen Mann habe ich geliebt,
wie man einen Sohn liebt.
Als sie den Säugling aus dem Haus warfen,
wickelte ich ihn in eine Decke und nahm ihn zu mir.
Als auch das zu gefährlich wurde,
trug ich ihn weiter. Vorher aber
schloss ich mit ihm eine Art Vertrag.
Nichts, was er wüsste. Es war auch mehr
ein Versprechen, abgegeben in einer unruhigen Nacht,
zu nachtschlafener Zeit, wie es heißt.
Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
TEIRESIAS
An dieses Versprechen habe ich mich gehalten.
Jedenfalls weiß ich nichts anderes. Wenn er mir heut
ins Gesicht schlägt, so trifft er die Luft
zwischen uns härter als mich. Das muss wohl so sein.
Da ist nichts, woran ich ihn noch erinnern könnte.
Jedes Erinnern enthielte eine Beleidigung
angesichts dessen, was sich verstünde
auch ohne ein Wort, und ich bin mir nicht sicher,
auf welcher Seite sie größer ausfiele.
TEIRESIAS
Dass einer sich versteht
auf das, was sich versteht, das
versteht sich nicht von allein. Soll sagen, niemand
soll sich darauf verlassen. Es ist aber das,
worauf sich jeder verlassen muss,
weil ihm keine Wahl bleibt.
PARAPHYLETOI
Wenn einer, wie es so geht, keine Wahl hat,
dann hat er einen Anspruch darauf, bedauert zu werden.
Das versteht sich von allein, also versteht es sich nicht.
Die Zeit bleibt nicht aus, in der einer keine Wahl hat.
Daher hilft das Bedauern
dem Bedauern. Das hilft dem Bedauerten wenig. Viel nur,
verglichen damit, dass selbst das Wenige ausbleibt.
Raschle den Sack. Du darfst ihn nicht öffnen.
Nur umschichten darfst du, was in ihm steckt,
planlos, wahllos, von Neugier getrieben,
indem du ihn aufhebst und fallen lässt,
wenn dir der Sinn danach steht. Merkwürdig ist
dieser stehende Sinn, hell, aufgerichtet, ein
Denkmal all dessen, was auf der Flucht ist.
Er lässt denken, ganz recht, doch den, der da denkt,
unterbricht er im Nu. Verlass den Raum der Genüsse
stehenden Sinns. Wer seinen Spaß mit dir hatte,
den sollst du vernichten. Wo? In dir, wo sonst.
Mörderisch endet der Spaß, dem du nicht ausweichst,
er greift, was zu haben ist, blind. Wer dich zum Spaß
hatte, der ist dein Feind. Du kannst ihn
vielleicht vergessen, zur Not, aber der andere
vergisst nie. Wohin du auch gehst, er will seinen Spaß.
TEIRESIAS
Manche braucht nur den Raum –
schon entfaltet sie sich. Dieses Wesen
kanntest du nicht. Es bricht
hervor aus der, die sie war und geht mit dir
auf und davon.
Du gehst mit, nur so zum Spaß, nicht wirklich.
Sehen willst du, was wird. Verlässt das Jetzt,
um dahin zurückzukehren, wo du begannst.
Beginnst ein zweites, ein Nicht-Jetzt, eins,
das nicht zählt. Schon bist
du es, der nicht mehr zählt, doch
das erfährst du spät oder gar nicht, die Botschaft kommt
schwer in dich hinein. Denn
du machst dich stark. Ein Fehler, wie du bemerkst,
nicht an dir, an den anderen. Wie du bemerkst,
wenn es zu spät ist. Dieses Zu spät nennst du Leben.
Ihm opferst du alles. Ein seltsames Opfer, denn wirklich
alles opfert dich, dein Verschwinden
ist das Gemeinte. Glücklich ist,
wer verschwindet, bevor
er völlig verschwindet, Rauch
an der Wand, dem geifernden Pack
ein Orakel.
IOKASTE
Sprechen wir vom Entzug.
Wer sich entzieht und wann, das entzieht
sich jeder Beschreibung. Es ist
das Gewöhnliche, das sich verbirgt.
In allem, das ist, aufs Ganze gesehen, mehr
als alles, was bleibt. Es ist nicht das Kind. Es ist
das versagte. Auch das wirkliche Kind
ist das versagte. Es bricht aus Nase, Stirn, Mund,
aus allem, was redet und redend
nicht redet, sondern bewahrt,
behandelt, gehätschelt, verwöhnt werden mag,
was nicht entscheiden will, sondern erkoren sein.
Alles an diesem Wesen ist Kind: das meint
der Entzug. Nimm mich, sagt er, du wirst
nichts erhalten, denn nichts ist alles,
was ich geworden bin. Ein Nichts im Werden,
ein Gewordenes, aus dem nichts wird. Dieses Werden
bin ich. Nimm mich,
wenn du mich willst. Meine Aufgabe ist es,
dir zu entwachsen. So kommst du
mir nicht aus. Auf allen Wegen
bin ich das Kind, das du willst. Willst du
es wirklich? Hier: das,
was du dir nimmst, ist der Wunsch. Er sei dein.
VOLK VON THEBEN
Wer sich mit nichts abspeisen lässt,
ist selber schuld.
Wer sich mit Schuld abspeisen lässt,
ist selber nichts.
Wem die Schuld zur Speise wurde,
der schuldet sich etwas.
TEIRESIAS
Wer ein Recht einbüßt,
das er nicht hergeben kann, ohne sich
zu zerstören, ist arm dran.
Wer nicht verantworten kann,
was geschieht, aber nicht handeln darf,
wenn alle Sinne schrillen, der
sollte sich selbst zu den Toten werfen oder
zum Abfall. Wer nicht hinausgehen kann,
wenn das Tor aufsteht und nichts sonst,
ist vielleicht feige, aber er weiß etwas.
Nur wer nicht weiß, wie ihm geschieht,
begreift, was geschieht.