PARAPHYLETOI · IOKASTE
Dies hier ist nicht Indien.
Es ist auch nicht North Carolina
oder New York im Mondschein
oder die Seychellen
oder der Khaiber-Pass
oder Bangkok
oder Rio
oder Timbuktu.
Hier ist hier.
Ich habe immer gewollt,
dass ich da bin, wo ich gerade bin oder war,
das hat sich nicht machen lassen. Wo immer du einen Fuß
auf den Boden setzt, will der andere weiter.
Das bewirkt vielleicht die Schwerkraft
oder ein Ziehen im anderen Fuß oder ein Nerv.
Heute bin ich hier und niemand kann mich vertreiben.
Deshalb wehre ich alle Angriffe ab, woher sie auch kommen.
Ob ich Recht habe oder nicht, wen kümmert das?
Es ist mein Recht, das ich behaupte.
PARAPHYLETOI · IOKASTE
Warum bewegst du dich dann
als seist du auf der Durchreise?
Das verstehe ich nicht.
Ich halte das Meinige zusammen.
Was wirft man mir vor?
Man wirft dir nichts vor.
Den Schatten, den du wirfst,
nennst du Vorwurf.
Das heißt, dass das Helle
hinter dir liegt.
Das Dunkle
macht dir Angst.
TEIRESIAS
Hieltest du das deinige nicht zusammen,
wie du sagst, so wärst du
allein. Aber das deinige
ist nicht das deinige und es geht
in alle Richtungen davon, während du es festhältst.
Es wehrt sich ja nicht, es verwandelt sich und
verwandelt dich wieder. Das ist es,
was dich formt. Das ist es,
was dich entstellt. Das ist es,
was dich entsetzt. Das ist es,
was du niemandem zeigst. Es ist auch nicht nötig, denn jeder
ist schon im Bild. Niemandes Freundin, so
nennt man dich heute. Du hast ihn geliebt, diesen
Niemand, und er
ist geblieben. An seinem Bild
mussten alle vorbei.
IOKASTE
Ich lasse mich nicht an den Pranger stellen.
Diese Zeit ist vorbei. Heute weiß ich,
wie man sich wehrt und ich lasse nicht zu, dass jene Zeiten
wiederkehren. So sieht es aus.
Es ist mein gutes Recht, so zu leben, wie ich es will.
Gut, ich lebe so, wie ich will. Jeder, der Ohren
hat zu hören, soll wissen, dass es so ist, wie es ist
und nicht anders. Das sage ich, die sich von Grund auf
verwandeln musste, um das zu finden,
was sie vielleicht nicht gesucht hat, aber was ich jetzt brauche
für jeden Atemzug. Hörst du? Ich atme. Das ist viel,
das ist verdammt viel, wenn du mich fragst, doch darunter
ist nichts zu machen. Wenn du mich umbringen willst,
lass es mich wissen. Diesen Kampf nehme ich auf.
Vielleicht hat er längst begonnen und wir
wissen es nicht. Wir wussten sehr wenig,
als wir uns kennen lernten. Auch heute
wissen wir wenig, denn dazu
fehlte uns die Geduld.
Heute bin ich geduldig, ich kann
warten und weiß, wie es in den Köpfen zugeht.
Soweit bin ich gekommen.
PARAPHYLETOI · IOKASTE
Wenn, wie du sagst, es dein gutes Recht ist,
so zu leben, wie du lebst, warum
sagst du es dann? Stehen die Schergen vor der Tür?
Warum sagst du, was niemand bestreitet, aber
im Tonfall einer, der das Wasser am Hals steht?
Ich sage es, weil ich nicht will,
dass in diesem Punkt Unklarheit herrscht.
Ich sehe doch, was geschieht. Wer mir einreden will,
ich müsste mich ändern, dem sage ich,
dass er ein Problem hat. Aber es ist seines und er
muss es lösen.
Wenn, wie du sagst, es sein Problem ist
und er es lösen muss, was hat sich dann
bei dir geändert, dass du so sicher bist,
dass nicht alles beim Alten blieb,
dass du noch immer erwartest, was niemals eintritt?
IOKASTE · PARAPHYLETOI
Diese Rede verletzt meinen Stolz. Ich möchte,
dass sie hier endet, an dieser Stelle.
Wer das nicht versteht, möge sich aufmachen
ins Land seiner Träume und mir überlassen,
was sich gehört. Ja, ich bin eine Kämpferin.
Ich werde nicht aufhören, das zu beanspruchen,
was mir zusteht. Ich weiß noch nicht,
was mir nicht zusteht, sicher
wird es sich zeigen. Das hat Zeit. Diese Zeit,
die vielen zu lang dauert, ist eine
Zwischenzeit, ein Inzwischen, in dem
jeder sich nimmt, was er bekommt.
Ich könnte mir vorstellen –
Ja?
Dass die Vorstellung schweigt,
ist mein Vorteil. Soll ich ihn
dahingeben für ein Linsengericht?
Wenn niemand sich vorstellen kann,
wie es weitergeht, ist er mein Mann.
Das klingt hart, aber es ist
meine Wahrheit. Eine andere
kenne ich nicht. Eine andere
brauche ich nicht. Ich könnte mir
ein anderes Leben vorstellen, das ist
auch wahr, aber es wäre ein anderes.
Das hier ist meins.
PARAPHYLETOI
Diese Frau ist verstört.
Man sollte ihr helfen.
Aber was sie sagt, hat Hand und Fuß,
man kann es nicht abweisen. Wenn doch,
kommt es wieder, heute oder morgen oder
wann immer es will. Ein solcher Wille
lässt sich nicht brechen. Er folgt der Regel
des tiefsten Punkts. Die Kugel kreist,
bis sie ihn findet. Ein Werfer,
der das nicht bedenkt, weiß nicht,
was er tut oder er kennt das Terrain nicht
und glaubt vielleicht, er würfe dem Offenen zu,
dem Immerweiter, das jeden Schaden ausbügelt
und die Last der Vergangenheit mindert.
TEIRESIAS
Als ich jung war, las ich, Gesetze
soll man so machen, dass sie
auch Teufeln Schutz gegen ihresgleichen geben.
Das trieb mir die Tränen
in die Augen, so musste ich lachen.
Gesetze, das wusste ich, werden von Menschen
für Menschen gemacht. Was aber von Menschen
für Menschen gemacht ist, das soll sich ändern,
nicht nur von Zeit zu Zeit, sondern im steten Fluss.
Die Wirklichkeit macht die Gesetze.
Die Gesetze machen die Wirklichkeit.
Was ich nicht wusste, war,
dass jedes Gesetz einen Dämon hervorlockt,
der testet, was möglich ist.
Was möglich ist, das ist wirklich: es schafft seine Leute.
Der erste Brauch ist der Missbrauch. Nach und nach
wird Brauch, was als Missbrauch begann.
Er schleift sich ab. Wer also ändert, was möglich ist,
schafft den Missbrauch. Wer im Fluss hält, was möglich ist,
fördert den Missbrauch. Wer den Missbrauch fördert,
muss ihn bekämpfen und fördert den Missbrauch:
eine Spirale, endlos. So braucht sich auf,
was einmal weiter wollte. Kein Mittel
kann das verhindern.
PARAPHYLETOI
Du willst etwas sagen,
aber es verweigert sich dir.
Wir wissen, was du denkst:
Die Person hält nicht stand.
Das ist die Regel.