TEIRESIAS · IOKASTE
Schrei nicht.
Du sollst nicht schreien.
Hör auf.
Ich kann schreien.
Außerdem hört uns keiner.
Was du redest, hat keine Substanz.
Es existiert nicht, es ist
der Wind zwischen den Zeilen
in diesem Buch, das du Leben nennst
und ich Tod.
Nenne es wie du willst, aber du kannst mir nicht ausreden,
dass ich bin.
Sei wie du bist, aber ich will nicht der sein,
von dem du dich nährst.
Davon war nie die Rede.
TEIRESIAS · IOKASTE
Du weißt, wovon die Rede ist, wovon
immer die Rede war, so dumm ist
kein Mensch, um nicht zu wissen, wie es sich anfühlt,
innen geplündert zu werden und, wenn die
Zeit dafür ablief, erpresst zu werden mit allen Mitteln,
dummen und klugen, zu klugen, um
gestattet zu sein, denn
das Kind einzusetzen in diesem bitteren Nachgang,
ist vielleicht das Nächste, aber es ist
auch das Letzte, es ist das, was nicht erlaubt ist
von Anfang an, nur darum scheint es
am Anfang so leicht: Es kann nicht wahr sein.
Wenn du glaubst, du könntest mich treffen,
dann lass dir gesagt sein, dass darüber
längst andere ihr Urteil fällten. Es enttäuscht mich,
dich so reden zu hören, denn für deinen Schmerz
kann ich nichts. Lass unser Kind nicht entgelten,
was du dir selber antatest.
TEIRESIAS · IOKASTE
Ich habe ihn gesehen,
als Pappkrone kam.
Ich habe ihn gesehen
und gehört: Es schnitt mir ins Herz.
Und ich habe gehört, wie du orakeltest:
Das Kind muss weg, und es schnitt mir ins Herz.
Ein weites Herz, dem die Entlastung guttat.
Entlastung? Welche Entlastung? Wovon redest du?
Das kannst du nicht glauben, das kann nicht dein Ernst sein.
TEIRESIAS · IOKASTE
Ich rede von dem Unwillen einer Mutter, ihr Kind aufzuziehen.
Ich rede von dem Strich quer durch dein Gehirn: Nicht mit mir.
Ich rede von Dingen, die weit zurückreichen. Ich rede davon,
dass du gewollt hast, was du
nicht wolltest. Davon, was du getan hast,
ohne es zu wollen. Davon, was du getan hast,
ohne es zu tun. Nicht von dem, was du
nicht gekonnt hast oder was wir nicht konnten, weil wir zu jung
oder zu unbedarft waren.
Davon rede ich nicht. Ich rede von diesem Strich
quer durch dein Gehirn.
Ich weiß von keinem Strich. Alles, was ich weiß, ist,
dass du dich entzogen hast, als wir dich brauchten.
Ich weiß, du hast ein einfaches Herz.
Dieses einfache Herz konnte sich ins Bett legen
und es nicht mehr verlassen, bis der Kerl aus dem Haus war,
den es brauchte. So einfach war dieses Herz,
dass es sich auf der Stelle vergaß,
wenn es gefragt war.
IOKASTE
In dir steckt eine Bitterkeit,
die nicht von mir kommt.
Daran haben andere gestrickt.
Das wars, was ich dir schon längst sagen wollte.
TEIRESIAS · IOKASTE
Du sagst es schon länger. Mir scheint,
das ist überhaupt deine längste Rede. Du findest,
der Vogel sei okkupiert, das ist ungeheuer,
vor allem lästig, weil es den Zugriff so schwer macht.
Ja, ich glaube, dass du so denkst. Du kannst gar nicht anders, es
steckt dir im Gen.
Wenn ich auf dich zugreifen wollte,
wie du zu glauben scheinst, dann gäbe es andere Mittel.
Ich bin es, die dich gern
frei sähe, frei für andere, aber dazu
müsstest du in dir frei sein und davon
sehe ich nichts.
Warum auch. Niemand zeigt sich gern seinem Zerstörer.
Ja, ich hätte dich zerstören können.
Ich könnte es noch heute, wenn ich es wollte, aber
ich bin nicht interessiert. Sage das deinem Vogel,
wenn du ihn findest: Ich bin nicht interessiert.
TEIRESIAS · IOKASTE
Warum die Anstrengung,
mir zu beweisen, was nicht zu beweisen ist?
Warum der Hass,
der sich aufschwingt, als habe er gepachtet,
was nur gemeinsam zu haben ist oder gar nicht?
Warum der Hochmut,
der bloß Weinerlichkeit deckt,
warum dieser ganze starre Aufwand,
der nirgendwo hinführt,
es sei denn vor Gericht oder ins Altenheim oder
in die Behandlungszimmer von Menschen,
die eine Leiche auf Urlaub sehen,
wenn ein Mensch vor ihnen steht.
Du sagst es.
Glaub nicht, dass du dem entgehst.
Du nimmst dich gern aus, aber daraus wird nichts.
An diesem Spiel verdienen alle, mit leeren Händen
kommt keiner davon. Auch du musst einstecken, aber
das geht schlecht, wenn du die Taschen vernähst.
TEIRESIAS
Leichenrede,
noch frisch vom Unfall,
Schweigen, sich spreizend,
ein Abfall, der tief fällt,
tiefer
als alles Gedachte
oder Ungedachte, denn das
kommt auf dasselbe heraus oder fast auf dasselbe, also
aufs Gleiche.
Die Zerreißung
ist absolut, denn sie ist das Spiel.
Ein Spiel, ja, so sehe ich es.
Festhalten, was nicht zusammengeht.
An jeder Stelle
verknüpfen, was besser
unverknüpft bliebe, so ungleich
liegen die Stücke. Das
ist das Spiel.
IOKASTE
Für dich ist alles Spiel,
aber damit kommst du nicht durch.
Etwas an deiner Rede erinnert mich an etwas anderes.
Ich weiß, was du damit ausdrücken willst,
aber du irrst dich. Oder du willst mir
etwas vormachen. Doch das gelingt
dir so wenig wie einem anderen.
Ich werde meinen Weg gehen und dich
nicht aus dem Auge lassen, denn du
weißt von keiner Verantwortung, aber
eines Tages wird es sich gegen dich richten und dann
wird man sehen, an welchem Ende du leichter trägst.
Du tust mir leid,
denn diese Schuld wiegt schwer.
Du könntest dir manches erleichtern,
wenn du ein Einsehen hast und den Weg findest.
Aber das kannst nur du.