LAIOS
Ich habe das Spiel nicht durchschaut.
Aber selbst wenn ich es durchschaut hätte,
was hätte ich machen können. Dass man mich zuließ,
dass ich die Pappkrone tragen durfte,
nicht zu lang, aber eine Zeit lang,
lag nicht an mir, es lag
an diesem Kind. Es lag
daran, dass es nicht von mir war
und ich mich dagegen auflehnen konnte,
ohne dass es ihr missfiel. So hatte sie
ihr eigenes Leben oder das,
was sie so nannte. Was weiß ich. Befriedigt
hat es sie nicht. Dafür stand ich, ein Klotz
in der Winternacht. Dass sie mich
nicht wegschickte, auch das
lag nicht an mir, es lag
an diesem Kind. An ihm lag es, dass
ich endlich wegblieb. Auch war
der Platz schnell besetzt. Dieses Kind, das nicht wegging,
hat mich auf- und abtreten lassen. Nein,
ich habe das Spiel nicht durchschaut, aber
da ich ein Spieler war, glaubte ich,
ich sei im Vorteil. Ein Nachteil auf lange Sicht.
Wer soll das wissen. Keiner weiß es und dass
ich keiner geworden bin, der es weiß, spricht
Bände für die, die nicht lesen, weil sie die Zeit
anders verspeist, mit Messern aus Gleichmut.
VOLK VON THEBEN (I)
Wenn eine Frau als Durchlauferhitzer für ihre Liebhaber dient,
dann ist es ihre Sache und jeder weiß, woran er ist.
Das hier ist eine andere Sache und darüber
sollte man einmal reden.
Wenns sein muss, rede.
Soll ich mir den Mund verbrennen an anderer Leute Angelegenheiten?
Wenn Kinder da sind –
Wenn keine Kinder da sind –
Wenn überhaupt jemand da ist –
Eine kluge Bemerkung, die mir sicher noch nachgeht.
Du solltest sie aufschreiben.
Erinnerst du dich an diesen Kerl Laios?
Na hör mal. Kein übler Bursche. Hast du was gehört?
Das nicht, aber ich musste eben an ihn denken.
Verschwindet bei Nacht und Nebel. Wer hätte das gedacht.
Da gibt es noch andere.
VOLK VON THEBEN (II)
Wie kommst du auf Laios?
Hast du was von ihm gehört?
Sie hätte die Lusche ruhig früher entsorgen können.
Hältst du sie für großzügig?
In diesem Punkt: ja.
Ich finde das gar nicht so einfach.
Er war gar nicht so übel.
Weiß mans?
ÖDIPP
Manchmal setze ich mich auf meine Maschine
und fahre durch die Nacht.
Das ist ein geräumiges Haus,
größer als das hier, mit beweglichen Wänden.
Dann weiß ich, sie wartet, und das
gibt mir ein starkes Gefühl. Ich will, dass die Nacht abbricht
wie ein Stab, an einer Stelle, unvermutet,
dann muss ich schnell sein. Als ich jünger war, las ich den Satz
›Jemand schüttet Licht aus dem Fenster‹,
ein Vorgeschmack. Aber das sind
Phantasien, die schnell vorbeigehen.
Ich will, dass diese Müdigkeit aufhört.
Ich will, dass dieses Leben vergeht
und einem anderen Platz macht.
Am besten wäre,
es verwandelte sich von selbst. Alles andere
macht mich schuldig. Komisches Wort: einem die Schuld geben.
Wieviel? Ein halbes Pfund? Wer kann das tragen.
Soviel Hände hat keiner. Lieber leer ausgehen, das kann sich
jeden Tag ändern und wenn, dann bin ich im Recht.
IOKASTE
Vielleicht habe ich kein Geschlecht.
Vielleicht ist das alles nur
eine Verwechslung. Als ich noch
Männer nötig hatte, ging es mir weniger gut als heute.
Sie merken, wenn eine Frau
sich frei gemacht hat, es zieht sie fürchterlich an,
vielleicht könnte ich sie erlösen. Dahin reicht
der Sohn nicht, es wäre nicht gut,
wenn er das begriffe. Manchmal bin ich seiner
so überdrüssig, dass ich am liebsten
seine Sachen aus dem nächstbesten Fenster würfe,
aber er würde sie einfach liegen lassen und ich
hätte die Arbeit. Es ist gut so, wie es ist, aber
es ist nicht gut. Daran werde ich nichts ändern und niemand
wird etwas daran ändern. So viele Dinge,
die ich nicht ändern kann. Heute bleibe
ich öfter weg, wenn ich weiß, er kommt nicht.
Wer über den Dingen steht, muss sich bücken,
es kommt nichts von alleine
an ihn heran. Das ist die Regel.
Ich breche sie manchmal. Unter meinen Händen
heilt sie von selbst: das tut gut.
Eine erfolgreiche Frau
ist etwas Schönes. Ein Glanz
geht von ihr aus, der sie fortreißt
in gähnende Höhen. Dort trifft sie gern
den erfolgreichen Mann. Zwischen zwei Terminen
bleibt immer Zeit. Auch bleibt
der erfolgreiche Mann nicht immer erfolgreich.
Darum heißt es die Gelegenheit nützen. Nicht das
bezogene Haus, nein, das erbeutete krönt die Traumfrau.
Das ist viel. Doch alles ist wenig, gegen ein Kind gehalten,
in der Hand der Frau. Manche sagen, es sei eine Waffe,
das sind die verletzten. In Wahrheit ist es
die Dauer. Der Mann ohne den Mann.
Ein Vater, der für den Vater zahlt, der er nicht sein darf,
ist das geschmeidigste Wesen unter der Sonne. Er muss dürfen
und darf es nicht,
er darf müssen
und darf nicht, was er muss, weil zu dürfen
die Gelegenheit fehlt, auch zu müssen,
was sich nicht abstellen lässt:
das muss sorgfältig dosiert sein.
Die Feineinstellung
ist das Geheimnis. Eine Frau, die das beherrscht,
hat ein Recht auf den Schutz
aller.
IOKASTE
Als ich jung war,
gehörte mein Bauch mir.
Hoch aufgewölbt
trug ich ihn durch die Zeiten.
Ich war ein Muttertier, wie es wenige gab.
Leider war, muss ich sagen,
das Material schlecht. Das lag nicht
an dem Mann, der mich bestäubte,
genauer gesagt, ich weiß von dem einen so wenig
wie von dem anderen.
Eines aber wusste ich: vorbelastet
durch ein Wesen wie mich würde das, was da heranwuchs,
ein dürftiges Etwas in einer dürftigen Welt.
Nur ich würde imstande sein,
meinen Anteil in ihm
glänzen zu lassen und ihm
ein wenig Fortkommen zu geben. Das war
meine Aufgabe und sie war schwer. Zu schwer für mein Alter,
wie ich heute weiß. Damals wusste ich nur: das da
stiehlt dir das Dasein. Da
liegt dein Tod. Das
durfte nicht sein.
TEIRESIAS
Als ich sie kennenlernte,
wollte sie mir einreden, sie sei drogensüchtig.
Als sie mich verließ,
wollte sie mir einreden, sie habe Krebs.
Dazwischen habe ich
vieles versucht, aber vergeblich: ihr Drang,
sich nicht zu stellen, war stärker
als jede List. Allein ihr Körper
schloss Türen auf, die ich nicht kannte.
Wann immer ich draußen blieb,
war sie weiter, sobald sie zurückkam.
So habe ich sie erlebt und so
habe ich sie gedeckt. So
deckten sie viele. Das ist geschehen und kein
Schweigen, so sehr es auch dauert,
macht ungeschehen, was damals geschah. Es verschwand nur,
so wie es immer verschwindet, im Bauch der Zeit.
Dieses Heute
imponiert mir nicht.
Ich höre nur, dass die Lügen von damals
weiter getragen werden und das Schweigen anhält.
ÖDIPP
Dieser Teiresias
ist vielleicht kein Mann, sondern ein Zwitter.
Wer zwischen den Geschlechtern steht,
wird von beiden verletzt. Das ist der
Gang der Dinge, in den
niemand sich einmischt, der seine Sinne
zusammenhält, etwas, was er nicht konnte, sonst wäre
er heute nicht blind. Man sagt, die Göttliche habe
ihn gestraft, was eine Ausrede ist und ein Schöntun
vor sich selbst. Ich spucke
vor ihm aus. Allerdings möchte ich nicht,
dass er schlecht von mir denkt, teils weil es
mir schaden könnte, teils weil etwas in mir
mich so denken lässt, ein alter
Aberglaube vielleicht oder eine Schwäche,
über die ich nachdenken muss. Sicher
ist es die Schwäche. Über sie muss ich weg,
soviel weiß ich. Danach
wüßte ich nicht, was mich hindern sollte, ihn zu entsorgen.